Jüdisches Leben in Deutschland nach 1945

Ereignis

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Titel
Jüdisches Leben in Deutschland nach 1945
Typ
Filmreihe
Zeitraum
März-Juni 2024
Veranstalter
Filmmuseum München
Beschreibung
ger Filmische Repräsentationen von jüdischer Geschichte und Erfahrung stehen immer in einem Spannungsfeld – das gilt in besonderer Weise für das postnationalsozi- alistische Deutschland: Der Umgang mit »den Juden« war von Anfang an der Lackmustest der jungen, west- deutschen Demokratie. Entsprechend wichtig und sym- bolisch bedeutsam wurde jüdisches Leben für ein neu- es deutsches Selbstbild. Das konnte auch filmische Darstellungen nicht unberührt lassen. Jüdinnen und Juden waren die Anderen, in deren Spiegelbildern sich das neue, demokratische deutsche Selbst erkennen und konturieren ließ. Hinzu kam, dass jüdische Figuren und Sujets für ein vor allem nichtjüdisches Publikum erkennbar gemacht und verständlich erzählt werden mussten. Diese Zuschauerinnen und Zuschauer hatten jedoch die antisemitischen Zerrbilder der NS-Zeit nicht von einem Tag auf den anderen vergessen, auch wenn Antisemitismus jetzt tabuisiert war und seine Bilder nicht mehr wiederholt werden durften. In ihrem Alltag hatte die deutsche Mehrheitsgesellschaft allerdings kaum Kontakt mit Jüdinnen und Juden – zu klein war diese Minderheit in Westdeutschland. Daran hat auch der Zuzug von Jüdinnen und Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion bis heute nichts geändert.
Juden in Deutschland bleiben eine Mini-Minorität. Das führte dazu, dass die filmische Auseinandersetzung mit jüdischem Leben herausfordernd und gefangen in Wi- dersprüchen war. Nach der unmittelbaren Nachkriegs- zeit, die mit kritischen und ambitionierten Darstellungen jüdischer Erfahrung auffällt, wie in DER RUF, LANG IST DER WEG, IN JENEN TAGEN, EHE IM SCHATTEN oder MORITURI, war die Beteuerung der Läuterung der deut- schen Gesellschaft oder die Kritik an ebendieser lange eine wichtige Funktion jüdischer Filmfiguren. Später kam die Wissensvermittlung über jüdisches Leben, Tra- dition und Geschichte hinzu, und die Sehnsucht nach Versöhnung begann die filmischen Darstellungen des Jüdischen zu prägen. Jüdisch-nichtjüdische Liebeszie- hungen wurden häufiger Topos auf dem großen wie auf dem kleinen Screen, wenn diese auch nicht immer kon- fliktfrei waren.
Entgegen anderslautenden Annahmen waren jüdi- sche Themen auch im DEFA-Film präsent und nicht nur in Form von Filmen über den Nationalsozialismus – jü- dische Themen sind auch dort am Rande und im Zent- rum der Handlung zu finden, wie jüngere Forschungen materialreich aufzeigen konnten. Das staatliche Narra- tiv vom Antifaschismus machte die europäischen Jüdinnen und Juden jedoch vor allem zu Opfern des Fa- schismus und damit zu Opfern unter anderen. Doch auch in den Filmproduktionen der DEFA waren die Auseinan- dersetzungen vielfältiger und widersprüchlicher, als die staatlich kontrollierte Filmproduktion vermuten lassen könnte. So stehen letztlich auch die Filme der DDR im Spannungsfeld zwischen der Ideologie auf der einen Sei- te, also einer Vereinnahmung der jüdischen Erfahrung für eine eigene politische wie ideologische Agenda, und dem Eigenwert jüdischer Erfahrung auf der anderen. Die Filme der Weimarer Republik waren weitaus mehr von jüdischen Filmschaffenden geprägt als die Zeit nach 1945. Der Ausschluss der jüdischen Filme- macherinnen und Filmemacher aus der Ufa, ihr Exil, die Verfolgung und Ermordung veränderten die deutsche Filmlandschaft unwiederbringlich. Doch auch in der Bundesrepublik arbeiteten jüdische Autor*innen, Regis- seur*innen, Schauspieler*innen, Produzent*innen: Sie kehrten als Remigrantinnen und Remigranten aus dem Exil zurück – man denke an Erich Pommer, Peter Lorre, Lilli Palmer oder Fritz Kortner – und bauten als Sho- ah-Überlebende ihre Karrieren in Deutschland auf. Prominentestes Beispiel hier ist sicherlich der 2019 ver- storbene Produzent Artur Brauner, aber auch Walter Koppel und Gyula Trebitsch kamen als junge Überle- bende nach Hamburg, wo sie ihre Firma Realfilm grün- deten und sie zu einer der erfolgreichsten Filmproduktionsgesellschaften der Zeit machten. Jeanine Meerapfel und Peter Lilienthal waren Teil des Jungen Deutschen Films und der Aufbrüche der 1960er Jahre, wäh- rend der jüdische Remigrant und Gründungsdirektor der Berliner Filmhochschule dffb, Erwin Leiser, bei den Protesten der Studierenden unter Druck geriet und durch die zunehmend eskalierenden Generationenkon- flikte in der jungen Filmhochschule Anfang 1969 zum Rücktritt gedrängt wurde. Das noch junge Medium Fernsehen wurde ebenso von jüdischen Akteur*innen mitgeprägt wie die bundesdeutsche Filmkultur, in der beispielsweise Rudolph Joseph, der erste Direktor des Filmmuseums München, der Journalist Max Lippmann und Oscar Martay, der Initiator der Internationalen Film- festspiele Berlin, an Aufbau und Leitung wichtiger Insti- tutionen beteiligt waren. Diese jüdischen Akteur*innen waren so unterschiedlich wie die Filmlandschaft, in der sie arbeiteten. Sie nutzten das Kino als Erinnerungs- raum und erzählten in ihren Filmen von Nationalsozia- lismus und Shoah, sie thematisierten die eigene Bio- grafie oder verweigerten genau das, sie erzählten von jüdischer Erfahrung oder vermieden es, in die Schubla- de des oder der »jüdischen Filmschaffenden« zu gera- ten. Sie boten Unterhaltung und Erinnerung und manchmal beides zusammen. Doch eine Gegenüber- stellung von deutsch-nichtjüdischen Filmschaffenden und jüdischen Filmemacher*innen, mit den Implikatio- nen von filmischen Selbst- versus Fremdbildern, von denen erstere als authentische und letztere als un- authentische Darstellungen angenommen werden, will nicht ganz aufgehen: Zu arbeitsteilig ist dabei die Film- produktion, zu komplex sind Identitäten und Biografien. Oft sind jüdische Filmschaffende in zentralen Positio- nen beteiligt, manchmal – aber in keinem Fall immer – gibt es autobiografische Färbungen. Doch einer zu großen Engführung von jüdischen Filmschaffenden und Filmen über jüdische Erfahrung muss mit Skepsis be- gegnet werden. Die Filmreihe zeigt eine große Band- breite von in Deutschland nach 1945 entstandenen Filmen zu jüdischen Themen: aus West- und Ost- deutschland, von Autorenfilmern wie Alexander Kluge oder der Regisseurin Jeanine Meerapfel, über Shoah und Antisemitismus, aber auch immer wieder über die Gegenwart und ihre Herausforderungen, in fiktiven, do- kumentarischen und essayistischen Formen, mit viel Humor und reflexiver Ernsthaftigkeit.
Mitwirkende
Lea Wohl von Haselberg